Und wieder wurden die Koffer im Hause Schirmbeck gepackt. Das letzte internationale Turnier der Saison stand an und war gleichzeitig der Höhepunkt des Jahres – Die klassische Jugend-EM. Eigentlich hätten wir die WM bevorzugt, die dann aber nicht wie ursprünglich angekündigt in Orlando Florida ausgetragen wurde, sondern nach Kasachstan umgezogen ist. Daher also Montenegro, ein Direktflug aus Dortmund nach Podgorica versprach auch deutlich weniger Reisestrapazen als es nach Almaty gewesen wären.
Anflug auf Podgorica, man sieht landschaftlich schon, was Montenegro ausmacht: Viele Berge und Seen und in Budva kam dann noch die Adria dazu.
Und da ist es schon: Im Meer kann man Lily mit Esam Sally Elsayed beim Baden zusehen. Auf der Insel im Hintergrund rechts findet man den „Hawaii“ Strand.
Dieses Jahr jettete die europäische Jugendschachwelt also nach Budva. Ein von Bergen eingerahmtes Touristenstädtchen an der Adria, welches für seine Strände und das klare Wasser bekannt ist. Ende Oktober war die Saison im Grunde zu Ende, das Wasser aber noch so warm, dass wir häufig kurz vor der Runde im Meer, um einen frischen Kopf zu bekommen, baden konnten. Das war zwar frisch, aber nach etwas Gewöhnung erträglich. Untergebracht waren wir im Slovenska Plaza Hotel, einer schönen, sehr weitläufig angelegten Hotelanlage, die in verschiedene „Villas“ aufgeteilt war, großen Appartmentgebäuden mit Innenhof. Die Unterbringung war sehr gut, das Essen auch voll in Ordnung. Nach fast 2 Wochen wiederholt es sich natürlich, aber das ist überall so.
Es gibt in Budva die malerische Altstadt mit vielen kleinen Shops sowie Restaurants und Cafes, perfekt für Touristen zum Flanieren. Die Neustadt von Budva selbst ist dagegen ziemlich hässlich.
Der Spielsaal war ein Zeltkomplex, der direkt neben den Rohbau eines großen Hotels aufgebaut war. Bei der ersten Inspektion gab es ein paar Bedenken bezüglich Lärm von der Baustelle nebenan, abends wurde es auch schnell recht frisch und eine Heizung gab es nicht. Die Bedenken waren aber unbegründet, alles war gut organisiert. Das Turnier wurde in den Altersklassen U8-U18 gespielt, insgesamt gab es also 12 Turniere mit jeweils um die 100 Teilnehmern. Die Europäische Schachunion veranstaltet das alles zusammen, was den Stresslevel bei ca. 1200 Spielerinnen und Spielern für die Organisatoren mutmaßlich nochmal deutlich erhöht. Dagegen werden Weltmeisterschaften geteilt ausgetragen, einmal U8-U12 und U14-U18.
Kleiner Rundgang im noch nicht ganz fertig vorbereiteten Turnierareal
Die tägliche Prozession vom Hotel zum Turniersaal. Durch diese hohle Gasse mussten die Spieler auch alle wieder zurückkommen.
Das G12-Feld vor der 4. Runde. Lily spielt gegen ihre Freundin Olivia Lukas.
Typische Gesamtsituation im Vorraum des Turniersaals. Einige Eltern und Betreuer haben dort stundenlang ausgeharrt und auf ihre Kinder gewartet. Links geht es durch die Metalldetektoren in den Spielbereich.
Die deutsche Delegation bestand aus 43 Spielern. Das klingt nach viel und war es auch. Ich habe bis zum Schluss nicht alle Namen der Kinder und Begleiter gelernt, das war bei den anderen internationalen Meisterschaften anders. Wir waren damit aber trotzdem bei weitem nicht die größte Delegation. Polen beispielsweise war mit 68 Spielern vertreten und gleichzeitig die erfolgreichste Nation – 5 Medaillen gingen an unsere freundlichen Nachbarn im Osten. Die machen im Jugendschach anscheinend viel richtig. Das deutsche Gesamtergebnis war dagegen enttäuschend, mittelgroße bis riesige ELO-Verluste waren die Regel, selbst Lily verlor trotz eines Ergebnisses von 7 aus 9 etwas ELO. Die einzige Medaille holte FM Mykola Korchynskyi, der seit diesem Jahr für Deutschland spielberechtigt ist.
Die deutsche Delegation im schönen Hotelgarten – Auf dem Foto fehlen einige Spielerinnen und Spieler
Analyse der OWL-Trainingsgruppe am Halloween. Lily zeigt gerade eine ihrer Partien. Trainer Matthias Krallmann, Maurin Möller, Hussain Besou und Jad Besou (leider verdeckt durch seinen großen Bruder) kommentieren
Lilys Turnier war ein Wechselbad der Gefühle. Nach einem sicheren Sieg in der ersten Runde folgte eine ärgerliche Niederlage gegen die Französin Cyrielle Duchatel, die Lily schon frühzeitig die Chancen auf eine gute Buchholzwertung am Turnierende verhagelte. Es folgte dann eine Siegesserie bis zur Runde 7, wo Lily eine Gewinnstellung gegen die Polin Alicja Gruszecka einzügig wegwarf. Danach war klar, dass es nur mit sehr viel Glück noch eine Medaille werden würde. Lily raffte sich auf, gewann die beiden letzten Partien, doch am Ende reichte ihre Buchholzwertung nicht für eine Medaille. Für Platz 5 versprach die Ausschreibung trotzdem einen Pokal, den gab es dann aber leider doch nicht.
Spaß mit Flagge bei der Siegerehrung: v.l.n.r Olivia Lukas, Klara Bayer, Meara Classen, Lily Schirmbeck
Das Deutschlandlied für FM Mykola Korchynskyi – Gold in der U16, Herzlichen Glückwunsch auch zur IM-Norm!
Unser persönliches Fazit ist ein gemischtes. Lily hat den 5. Platz unter 107 Spielerinnen in ihrer Altersklasse belegt. Das ist objektiv gesehen eine sehr gute Leistung, auch angesichts dessen, dass wirklich alle guten Europäerinnen teilgenommen haben. Lily ist aber eigentlich trotzdem enttäuscht, dass es letztlich nicht ganz gereicht hat. Wenn man nach Wertungszahlen die Nummer 1 in Europa und Nummer 6 auf der aktuellen Weltrangliste in der eigenen Altersklasse ist, ist alles andere als Gold gefühlt irgendwie zu wenig. Stolz macht es uns allerdings vor allem, wie sie sich nach dem bitteren Einsteller in der 7. Partie zurückgekämpft und am Ende noch die zwei letzten Partien souverän gewonnen hat. Das waren objektiv sogar ihre besten, die Gegnerinnen hatten keine Chance, und die können auch ziemlich gut Schach spielen. Lilys Gegnerin aus Runde 9, Melis Duru Kaygun aus der Türkei, hat bis zur Runde 7 das Turnier sogar angeführt. Wir nehmen mit, dass Lily in jeder einzelnen der 9 Partien auf Gewinn stand, davon aber eben nur 7 gewonnen hat. Man braucht einfach auch etwas Fortune, um bei einem solchen Turnier am Ende ganz oben zu stehen. Manchmal werden Fehler beim Schach bestraft, manchmal nicht. Lilys wurden leider einmal zu viel bestraft.
Die aktuelle Weltrangliste der U12w. Die Europäerinnen hinter Lily, Clio Alessi, Zuzanna Kaminska und Marianta Lampou belegten die Plätze 9, 12 und 20. Europameisterin wurde Lilys Freundin Alona Tolmaceva (Platz 5 in Europa, Platz 16 der Weltrangliste). Herzlichen Glückwunsch nach Lettland!
Unser besonderer Dank gilt an dieser Stelle Lilys Trainerin WGM Carmen Voicu-Jagodzinsky, die ganz kurzfristig mehrere Tage lang alles stehen und liegen ließ, um zusammen mit Lily Pläne für ihre Partien der nächsten Runden auszuarbeiten. Du warst unsere Retterin in der Not. Vielen Dank für deine Loyalität, das werden wir nicht vergessen!
Lilys größter Erfolg in ihrer U12w-Karriere bleibt damit nominell die Bronzemedaille bei der Team-EM in Terme Catez, wobei der 5. Platz in Budva wahrscheinlich sportlich sogar höher zu bewerten ist. Nächstes Jahr wechselt sie in die U14w, die neuen Herausforderungen warten bereits.
Übertragung der Partien auf Lichess
Vorbericht des Deutschen Schachbunds
Zwischenbericht des Deutschen Schachbunds
Abschlussbericht des Deutschen Schachbunds
Bericht über die Eröffnung im deutschsprachigen Bereich eines montenegrinischen Nachrichtenportals
Bericht von Brigitte Große-Honebrink – eine deutsche Schiedsrichterin vor Ort






