Letzte Woche wurden wir von einem Redakteur der örtlichen Lokalpresse gebeten Stellung zu nehmen zu dem derzeitigen Aufschwung des Interesse am Schachspiel und den Auswirkungen auf unseren Verein. Wir stimmten uns vereinsintern inhaltlich ab und nahmen zu den gestellten Fragen Stellung. Der sehr gute Artikel, der daraus entstanden ist, wurde heute veröffentlicht. Da ausgerechnet heute aufgrund des Schneechaos keine Zeitung gedruckt wurde, leider nur als E-Paper und als Artikel auf der Website des HK:

Wir freuen uns sehr, mal wieder prominent in der Loklalpresse vertreten zu sein, möge der Artikel nach dem Lockdown ein paar Interessierte Menschen in unseren Klub locken! Da natürlich unsere Antworten nur auszugsweise verwendet werden konnten, möchte ich hier der Vollständigkeit halber unsere komplette Rückmeldung veröffentlichen. Das mag für einige Leser durchaus interessant sein! Uns wurden folgende Fragen gestellt:

1.) Freut es Sie, dass Netflix Schach so eine Plattform bereitet hat?
2.) Haben Sie in Ihrem Verein irgendwelche Auswirkungen gespürt, nachdem die Serie veröffentlicht worden war? (Mehr Anfragen von Jugendlichen oder Erwachsenen, die plötzlich Schach spielen wollen?)
3.) Schachbretter waren wegen der Serie zwischen Oktober und Dezember vielerorts ausverkauft: Kann der Boom dauerhaft anhalten? Was müsste dafür passieren?
4.) Profitiert oder leidet der Sport unter Corona-Krise? Meinem Empfinden nach spielen in der Krise weitaus mehr Menschen Schach im Internet als vor der Pandemie.
5.) Warum spielen eigentlich so wenige Frauen Schach?
6.) Wie viele Frauen sind in Ihrem Verein Mitglied?

Dies waren unsere Antworten:

Zu 1)
Die meisten schachbegeisterten Menschen haben sich das Damengambit angeschaut und für sehr sehenswert befunden. Werbung für Schach ist immer gut und gerade Netflix sehen sehr viele Menschen, vor allem auch Jüngere Erwachsene. Im Gegensatz zu den meisten anderen Filmen und Serien, in denen Schach vorkommt, merkt man bei der Serie in jeder Minute, dass sich die Macher tief in die Thematik eingearbeitet (bzw. Rat bei den richtigen Leuten eingeholt) haben und nicht (wie sonst üblich) nur die Figuren halt irgendwie aufs Brett gestellt haben, damit es für den Laien wie Schach aussieht. Die Serie ist vor allem deshalb super, weil sie sehr hochwertig produziert ist, auch viele Nicht-Schach-Themen spannend erzählt, aber trotzdem das Besondere des Schachspiels vermittelt. Vor allem die imaginären Figuren an der Decke, die die Beth sich im Drogenrausch vorstellt, sind als Medium ein Glücksfall, um die Schönheit des Spiels für die Zuschauer visuell zu transportieren. Dass die Heldin eine Frau ist, umso besser, es braucht Vorbilder, auch wenn dieser Teil nicht besonders realistisch für das Spitzenschach der damaligen und leider auch noch heutigen Zeit war bzw. ist.

Zu 2)
Der reguläre Spielbetrieb im Verein ruht, wir veranstalten jede Woche ein Jugendtraining, damit wir gerade das Interesse der Jugendlichen aufrecht erhalten. Die kostenlose Lichess Plattform ist dabei von unschätzbarem Wert, hier hat sich ein ganzes Ökosystem von Trainingsangeboten, Streamingaktivitäten, Turnieren und Ligabetrieb herausgebildet. Das wird die Schachwelt auch über Corona hinaus nachhaltig prägen. Wir haben durch den Hype um das Damengambit für den Verein direkt noch keine Effekte im Sinne von Eintrittsgesuchen gespürt, das liegt in meinen Augen aber vor allem daran, dass wir derzeit keinen Mehrwert für Menschen bieten (können), die während der Pandemie Schach für sich entdeckt haben. Sobald wieder ein regulärer Vereinsabend möglich ist, hoffen wir sehr, dass genau diese Menschen auch Interesse daran entwickeln, auch physisch Schach zu spielen, und schließlich auch den Weg in unseren Verein finden. Sie sind herzlich willkommen! Andererseits gibt es dann auch wieder viele alternative Freizeitgestaltungsmöglichkeiten…Wir werden sehen, was passiert.

Zu 3)
Das kommt darauf an, ob die verkrusteten Strukturen in den Verbänden und Vereinen sich den neuen Gegebenheiten und Möglichkeiten des Internets ausreichend anpassen und öffnen werden – auch über Corona hinaus. Passiert das, kann Schach die Welle aufnehmen, denn in der Tat haben alle Schachseiten und Streamer exponentiellen Zuwachs aktuell. Passiert es nicht, wird es leider verebben. Ich bin da für unseren Verein aber guten Mutes. Unser Ziel war und ist es, ein regionales Angebot für die Menschen vor Ort zu schaffen, die sich mit Schach in welcher Form auch immer beschäftigen möchten und sich mit Gleichgesinnten austauschen wollen. Die rasante Entwicklung des virtuellen Schachs verstehen wir dabei als Chance und versuchen sie zu nutzen, wo es Sinn ergibt. Traditionelle Schachvereine werden nicht aussterben, weil plötzlich alle nur noch online spielen, dafür ist der Mensch genug soziales Wesen. Wir müssen unseren Mehrwert, das Soziale und Verbindende zwischen den Generationen, einfach gut verkaufen.

Zu 4)
Sowohl als auch . Das Turnierschach und alle Wettbewerbe sind ausgesetzt und für viele bedeutet dies eine völlige Schachpause. Aber die vielen Möglichkeiten des Onlineschachs werden dafür umso stärker frequentiert. Das bietet neue Formate und Möglichkeiten. Wichtig ist es Synergieeffekte zu bilden und das Digitale mit dem Analogen zu verbinden. Hier ist viel Kreativität gefragt. Beispielsweise ist es gerade in der Diskussion, auch gewertete Turniere am „richtigen“ Brett zu spielen, bei denen die Spieler über die ganze Welt verteilt unter Wettkampfbedingungen mit Schiedsrichtern über Online-Hubs virtuell gegeneinander spielen können. Es ist gerade viel im Fluss. Die Corona-Pandemie kann hier ein Innovationstreiber sein.

Zu 5) und 6)
Das liegt gewiss nicht an der Biologie, dort wo es gezielte Mädchenförderung gibt, z.B. im Hamburger Schachklub, wo ich auch Mitglied bin, da ich dort unter der Woche arbeite, spielen sogar viele Mädchen mit großer Begeisterung und auch sehr erfolgreich Schach. Daneben spielen sicherlich auch gesellschaftliche Faktoren (wenige Vorbilder, Rollenklischees). Ich habe selbst eine schachbegeisterte 7-jährige Tochter, die leider derzeit aber auch unser einziges weibliches Vereinsmitglied ist. Früher gab es im Jugendbereich sogar mal dedizierte „Mädchenbretter“. So sollten die Vereine sanft dazu gezwungen werden, auch Mädchen zu integrieren. Hat aber auch nicht richtig funktioniert, die Bretter konnten häufig nicht besetzt werden und die Situation war dadurch frustrierend für alle Beteiligten. Schließlich wurde die Regelung wieder abgeschafft.
Wir bemühen uns Mädchen zu integrieren, von sich aus finden aber nur wenige den Weg in den Schachklub. Über das Ferienspielangebot kommen wir ganz gut an beide Geschlechter ran, da ist es meist so halbe/halbe, aber nachhaltige Begeisterung verbunden mit einem Besuch des regulären Jugendabends oder sogar einer Vereinsmitgliedschaft entwickelt sich daraus leider nur sehr selten. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, daß wir mal mehr als 4 Frauen /Mädchen im Klub hatten. Es ist mir persönlich aber ein Anliegen, hier in der Zukunft mehr zu tun, z.B. durch ein Angebot spezieller Mädchentrainingsgruppen, gezielter Angebote in Schulen usw. Das ist aber natürlich alles auch eine Ressourcenfrage.