In Willingen im Sauerland traf sich in der vergangenen Woche die deutsche Jugendschachelite. 400 Kinder und Jugendliche spielten in 9 Altersklassen um den deutschen Meistertitel. Die jüngsten Spieler und Spielerinnen traten in der Altersklasse unter 8 Jahre an, die Ältesten waren 18 Jahre alt. Die Spielbedingungen waren sehr professionell. Die Landesverbände stellten den Spielern erfahrene Trainer zur Seite, teilweise waren sogar Privattrainer mit angereist. Vor jeder Runde wurden gemeinsam die gespielten Partien der nächsten Gegner auf Schwächen untersucht, um einen Matchplan zu entwickeln. Nach der Partie wurde wiederum das eigene Spiel analysiert, um es in der nächsten Partie verbessern zu können. Lily wurde von Jasper Holtel hervorragend betreut, es kam bei jeder Partie mehr oder weniger das aufs Brett, was sich beide vorher angeschaut haben. Das war echt beeindruckend, ich wünschte mir, ich hätte so ein gutes Händchen bei der Vorbereitung meiner Partien. Gespielt wurde in einer riesigen Kongresshalle, in die während der Partien nur die Spieler und Offizielle Einlass erhielten. 13 Schiedsrichter behielten dabei die Übersicht. Fast alle Partien wurden an digitalen Brettern gespielt und konnten von den zu Hause gebliebenen Vereinsmitgliedern, Freunden und anderen Interessierten über das Internet in Echtzeit verfolgt werden. Die offiziellen Ergebnisse und auch alle Partien zum Nachspielen findet man auf der Homepage der Deutschen Schachjugend.

Vor der ersten Runde – Bald geht es los!

Blick über den Spielbereich – Schach (fast) bis zum Horizont!

Bei jeder Runde wurde auch einen Livestream produziert, in dem zum Teil Großmeister und Nationalspieler die laufenden Partien kommentierten. Die Teilnehmer, Organisatoren und Begleiter wohnten auch gemeinsam im Hotelkomplex, ein vielfältiges Freizeitangebot rundete die Veranstaltung ab.

Der Freizeitbereich – Tischtennis, Brettspiele, Basteln: Für jeden war etwas dabei.

Bei der morgendlichen Lektüre der Turnierzeitung

Lily hatte sich durch ihr erfolgreiches Abschneiden bei der OWL- und NRW-Meisterschaft qualifiziert. Zuerst sah es so aus, als ob sie nicht würde teilnehmen dürfen, da sie bei der NRW-Meisterschaft den direkten Qualifikationsplatz knapp verpasste (siehe Artikel „Lily on fire -Teil 2“). Da die Siegerin der NRW-Meisterschaft aber von der Landestrainierin Carmen Voicu-Jagodzinsky für die U8-Gruppe nominiert wurde, wurde ein Platz für die Viertplatzierte frei. Sie erhielt über die zweite Freiplatzrunde sogar eine zweite Startberechtigung, diese konnte sie dann sogar noch weitergeben und auch die Fünftplatzierte aus NRW Nicole Kühn durfte spielen. Die Freundschaften aus Kranenburg konnten also in Willingen aufgefrischt und ausgebaut werden.

Die NRW-U10w-Mädchengang im Trikot. Von links nach rechts: Liza, Nicole, Samiksha, Lily und Dascha (Deutsche Meisterin 2022 in der Klasse U8w)

Dieses Jahr gab es zusätzlich auch viele ukrainische Teilnehmer, denen durch eine Sonderregelung die Teilnahme ermöglicht wurde. In Lilys Klasse spielten 42 Mädchen über 8 Tage 11 Runden. Da jede Runde durchschnittlich 3-4 Stunden dauerte, nötigte dieser Modus den Kindern ein Höchstmaß an geistiger Leistungsfähigkeit und Kondition ab. Zudem wurden an 3 Tagen sogar 2 Partien gespielt. Lily startete fulminant ins Turnier. Nach einer äußerst knappen Niederlage gegen die Turnierfavoritin und spätere deutsche Meisterin Alicia Kovalskky vom Düsseldorfer Schachverein gewann sie 4 Partien in Folge, unter anderem gegen die am Ende fünftplatzierte Katharina Glotz vom sächsischen Schachverband, und schnupperte zur Halbzeit als zwischenzeitlich 5. sogar am Podest.

Aus der Partie Alicia Kovalskky – Lily Schirmbeck: Da war sie, die erste Chance gleich in der ersten Runde für eine Riesenüberraschung zu sorgen. Df6 verspricht großen Vorteil, Lily zog aber die Dame ein Feld zu weit nach g5. Es sollten in dieser Partie auch noch zwei weitere klare Gewinnstellungen für Schwarz folgen, die Lily aber nicht nutzen konnte.

Aus der Partie Katharina Glotz – Lily Schirmbeck: Weiß dachte wohl nach dem Abzug Sxd4, dass sie einfach eine Qualität gewinnt. Es gibt aber noch den Zwischenzug Dh4 mit einer Mattdrohung, der den weißen Plan scheitern lässt. Lily sah das und stand danach hervorragend.

Die lange Turnierdauer und die relative Unerfahrenheit unseres Haller Nachwuchstalents (die meisten Gegnerinnen waren ein Jahr älter als Lily) machte sich dann aber doch bemerkbar, als sie durch einige vermeidbare Fehler die Partien 6, 7 und 9 verlor. Gegen die letztjährige NRW-Meisterin Anna Heidtkamp gelang immerhin ein halber Punkt, als Lily mit nur noch ein paar Minuten auf der Uhr eine Zugwiederholung fand.

Aus der Partie Anna Heidtkamp – Lily Schirmbeck: Schwarz hat hier sogar theoretisch Vorteil, es ist aber zweischneidig: Ld5, Tc2, Lb2, Tc4 sichert das Remis. Sec3 wäre eine gute Option, wenn man weiter auf Gewinn möchte. Lily lebte aber mehr oder weniger nur noch von ihren 30 Sekunden Inkrement, da war das Remis eine verständliche Wahl.

Es folgten eine weitere Niederlage und ein Sieg. Die letzte Partie war an Dramatik kaum zu überbieten. Lily fand im Mittelspiel den richtigen Plan, trieb ihren Freibauern bis zur Grundlinie, bekam dadurch eine weitere Dame, und alle Zuschauer wähnten die Partie schon entschieden. Ihre Gegnerin Julia Fruth aus Dresden hatte aber ebenfalls noch ein paar gefährliche Bauern nahe des Umwandlungsfelds. Am Ende übersah Lily leider eine taktische Kombination, die zu einer Springergabel führte und aus der gewonnenen Stellung wurde im Handumdrehen eine verlorene.

Nach Ke8, Sg7, Kd8, Se6 ist die Dame plötzlich wieder futsch.

Ein bitteres Ende, damit war das erhoffte Top10-Ergebnis dahin, es wurde am Ende der 18. Platz von 42, was aber auch eine riesige Leistung ist. Die Enttäuschung wurde daher auch schon bald von den vielen schönen Erlebnissen überstrahlt, die diese aufregende Woche bei der deutschen Jugendmeisterschaft bot. Nirgendwo sonst kommen jedes Jahr so viele schachbegeisterte Kinder und Jugendliche zusammen, um gemeinsam sportlich und friedlich die deutschen Meister zu küren.

Kuscheln mit Chessy vor der Siegerehrung

Der Wahlspruch des Weltschachverbands „Gens una sumus – Wir sind eine Familie” wurde dabei mit Leben erfüllt. Wir fühlten uns dort als Teil dieser Schachfamilie und auch die vor Tod und Zerstörung geflüchteten Teilnehmer wurden vorbildlich in diese Gemeinschaft integriert.

Lily wird weiterhin fleißig trainieren und Turniere spielen, um dann im nächsten Jahr beim Kampf um den deutschen Meistertitel ein Wörtchen mitreden zu können.

Ein großer Dank gilt an dieser Stelle:

– Den Organisatoren der Meisterschaft von der Deutschen Schachjugend

– Lilys Trainer vor Ort Jasper Holtel, ihrem Heimtrainer Tobias Vöge sowie dem Trainer des Kaders Herford Andre Wolf

– Jannik Liebelt, Lara Schulze und Luna Vogt für die emotionale Unterstützung vor Ort sowie der Jugend und den Mitgliedern unseres Vereins, die von zu Hause mitgefiebert haben, ganz besonders unserem Jugendwart Frank Bergmann.