Zum ersten Mal veranstaltete der Schachklub Halle ein Turnier mit Stellungsvorgabe. Besonders an diesem Format ist, dass nicht aus der Grundstellung gespielt wird, sondern ein paar Züge vorgegeben werden. So kommen Eröffnungspositionen aufs Brett, die den Spielern meist weniger bekannt sind als das übliche persönliche Repertoire, es ist also mehr Improvisationstalent und allgemeines Schachverständnis gefragt als Theoriewissen. Die Startstellungen wurden unter denen ausgelost, die bei der Computerschach Weltmeisterschaft im letzten Jahr gespielt wurden. Dort spielen die Schachprogramme absichtlich nicht aus der Grundstellung heraus gegeneinander, da in dem Fall aufgrund der Spielstärke der Engines fast jede Partie Remis ausgehen würde und für die menschlichen Zuschauer ziemlich uninteressant wäre. Die vorgegebenen Stellungen sind absichtlich so gewählt, dass eine Seite ungefähr eine Bauerneinheit Vorteil hat. Dies führt zu deutlich spannenderen Partien. Ähnliches erhofften wir uns für unser Turnier und wurden nicht enttäuscht.

Gespielt wurde in der bekannten Haller Remise bei besten Bedingungen (Einzeltische, viel Platz) in 4er Gruppen. Jeder spielte gegen jeden jeweils eine Doppelrunde mit vertauschten Farben, insgesamt also 6 Partien. Die Bedenkzeit war 30 Minuten + 5 Sekunden, Zeit genug, um sich gründlich in die unbekannten Strukturen, die aus der Eröffnungsvorgabe resultierten, hineinzudenken. Das Teilnehmerfeld war ebenfalls auf erfreuliche Weise ungewöhnlich: 26 Teilnehmer spielten in den Gruppen A-F. Die Einteilung im Vorfeld war etwas schwierig, da 11 Spieler keine Wertungszahl besaßen. Es handelte sich dabei aber keineswegs um Anfänger. Einige hatten bisher einfach noch nie am offiziellen Schachturnierbetrieb teilgenommen oder sogar überhaupt noch nie eine Wettkampfpartie am Brett gespielt. Wir freuten uns ganz besonders, diese Teilnehmer bei uns begrüßen zu dürfen, denn auch wenn man Schach wunderbar im Internet spielen kann, ist man doch erst so richtig Teil der Schachfamilie, wenn man anderen Schachbegeisterten bei der Partie in die Augen schauen kann und mit ihnen bestenfalls die Partie im Anschluss auch noch besprechen kann.

In der ersten Runde wurde eine Stellung aus dem Bereich Nimzowitsch Sizilianisch ausgelost.

Weiß steht hier durch den für Schwarz nervigen Bauern auf e5 schon etwas besser. Der Vorstoß d6 mit anschließendem Tausch würde in einem rückständigen schwarzen Bauern auf der halboffenen d-Linie münden, der Vorstoß f6 in einer geschwächten Königsstellung. Zudem hat Weiß Raumvorteil. Dieser weiße Vorteil spiegelte sich auch im Ergebnis unserer Spieler wieder. Die 26 Partien endeten mit 15 Punkten für Weiß, was statistisch nicht signifikant ist. Beim Schachspiel aus der Grundstellung gewinnt Weiß im Durchschnitt 37% aller Partien, Schwarz gewinnt 27% und der Rest geht Remis aus. Die Punkterwartung pro Partie liegt für den Weißspieler demzufolge im Durchschnitt bei 0,58. In dieser Runde hat Weiß 0,57 Punkte geholt, unsere Teilnehmer konnten ihren Startvorteil also nicht nutzen.

In Runde zwei spielten wir einen „lausigen Philidor“.

Der beste Plan für Weiß ist es wohl sofort h3 zu spielen. Der Läufer muss sich dann entweder unter ungünstigen Umständen gegen den Springer auf f3 tauschen oder er wird nach Lh5 mit g4 ultimativ nach g6 getrieben, wo er ebenfalls nach d3 auf die weiße Bauernkette schaut und daher eher schlecht steht. Mein Gegner hat diesen Plan auch gefunden, ich entschied mich für den Tausch, konnte den darauf folgenden Angriff aber abwehren und den Remishafen ansteuern. Insgesamt erzielte Weiß wieder 15 Punkte aus 26 Partien, das Fazit dieser Runde ist daher wiederum: Eröffnungsvorteil nicht genutzt.

In Runde 3 wollte es der Zufall, dass wir eine Stellung aus der slawischen Partie aufs Brett bekamen.

Dummerweise hat hier beim Rundenstart die Kommunikation der vielen vorgegebenen Züge nicht richtig geklappt, ungefähr die Hälfte der Bretter verstanden als letzten Zug h5 statt Lh5, was die Stellung für Weiß noch einmal signifikant um eine Bauerneinheit verschlechtert. Eigentlich war nun zu erwarten, dass sich dies diesmal wenigstens statistisch in den Ergebnissen niederschlagen würde. Dem war allerdings wieder nicht der Fall, im Gegenteil: 13,5 Punkte für Weiß bei 26 Partien sind unterdurchschnittlich. Aus statistischer Sicht kann man sagen, dass über das Gesamtturnier hinweg der Eröffnungsvorteil keinen Vorteil bei der Punkteausbeute brachte, was zu folgendem Fazit führt: Schachpartien werden auf Amateurebene weniger durch Vorteile in der Eröffnung gewonnen, sondern durch gutes Spiel in der darauf folgenden Partiephasen.

Kommen wir zu den konkreten Ergebnissen:

In der Gruppe B hatten am Ende Florian Schröder, Lilian Schirmbeck und Lorenz Gresselmeier 3,5 Punkte. Der Geldpreis wurde daher geteilt. Darüber, wer den Pokal mit nach Hause würde nehmen dürfen, musste ein Stechen im Blitzschach entscheiden. Florian setzte sich dabei gegen die anderen beiden durch.

Die Sieger (von links nach rechts): Gruppe C – Victor Vassiliev, Gruppe A – Max Storm, Gruppe E – J.H., Gruppe B – Florian Schröder, Gruppe D – Alex Gresselmeier, Gruppe F – Ekin Caylak

Vielen Dank möchte ich an dieser Stelle noch allen Teilnehmern und Helfern des Turniers aussprechen. Es war ein Experiment, was aus meiner Sicht im wesentlichen gelungen ist. Zumindest meine Partien waren ungewöhnlich und sehr unterhaltsam. Schreibt euer Feedback gerne an mich, denn besser geht immer: markus.schirmbeck@sk-halle.de

Und noch eine letzte Sache: Wir heißen Florian Liman als Vereinsmitglied des SK Halle willkommen. Da ich seine Anmeldung in der Mittagspause ins Vereinsportal eingegeben habe, hat er immerhin 2/3 des Turniers als Vereinsmitglied gespielt :-).

Freundschaftliches Duell: Fabian gegen Florian in der letzten Runde des Turniers.